STERNFLATION

19 neue Michelin-Sterne! Dazu tausende der allgegenwärtigen Gault-Millau Punkte – der gastronomische Pointilismus schlechthin. Es kommt mir vor, wie wenn sich diese Superlativ-Laudatio rasant in Richtung ad absurdum bewegt.

Natürlich drängen immer wie mehr gut gedrillte Caminada-Söldner und Fronleister anderer StarWar-Brigaden auf das freie Schlachtfeld und kämpfen heroisch und oft unter kompletter Selbstaufgabe um Rang und Namen. Das geht vielfach einher mit erheblicher Verschuldung oder bedingungsloser Verdingung in die Dienste von sterneguckenden Gastromäzenen. Wenige dürfen  das Kreuz in einem der immer wie zahlreicheren zweit und dritt Sterne-Warten arrivierter Kochhauben tragen und die Löffel schwingen. Irritierend dabei ist, dass es fast nur um Köche geht. Die Köchinnen sind zahlenmässig kaum erwähnenswert. Liegt das daran, dass die Holden sich ungleich der männlichen Kochspezies nicht zum Fron in die Dienste von Halbgöttern am Herd herablassen?

Und dann stellen wir fest, dass es hüben wie drüben ähnlich schmeckt – oder noch tragischer, wie bald überall. Zugegeben mit kleinen Nuancen – hier verwirrend viele Komponenten, da mit asiatischem Einfluss, dort mit klarer französischer Handschrift und aktuell ganz neu mit nur 5 Zutaten. Ja, sogar italienisch, oder japanisch, und bald wohl auch ukrainisch. Alles kommt mit der Pinzette platziert auf den Teller.

Aber halt nicht für alle – nur für die, die Ende Monat die Abbuchung der Krankenkassenprämie noch nicht einmal bemerken. Nur für die, die mit mindestens meinem Lieblingsitaliener, dem Maserati, vorfahren, und nur für die, die aus Langeweile mit BVG-Potenz durch das ganze Land von SternWarte zu Gastrotempel wallfahren. Also jenen, die 300-600 Franken pro Nase für ein Duzendprodukt sorglos und wohlwollend nickend mit einem Wein von nicht unter 15 Franken pro Glas hinunterspülen und dabei schon daran denken, wo sie denn nächstens oder schon morgen den täglichen Kalorienbedarf völlern wollen.

Und was zeigt uns das? Es zeigt uns, dass kochen gar nicht schwer sein kann – was es wirklich ja auch nicht ist. Denn wenn etwas plötzlich inflationiert, dann deshalb, weil es ganz viel davon gibt. Und was folgt auf die Inflation – die Defloration, dann wenn die begierliche Hürde fällt und die Lust befriedigt und nicht weiter gesteigert werden kann und alles zur Routine wird. 

Aktuell aber fallen viele Sternschnuppen vom Gastrohimmel – ganz normale Köche, die mit Drill und Fantasie (any combination is good combination…) sich doch zu mehr berufen fühlen als nur zu Schnipo und Wurstsalat. Tragisch wäre, wenn es bald nur noch Sterne-Schuppen gäbe – ich vermisse die gute einfache Küche jetzt schon.

Aber da gibt es das Pendant zu Sternen und Punkten. AUFGEGABELT von Martin Jenni – gottlob gedenkt wenigsten einer der geerdeten, ursprünglichen und einfachen Küche – ohne shi shi und chrunchy Firlefanz.